Das Märchen mit den Qualitätsklassen, die angeblich niemandem schaden

Im Rahmen des Netzallianztreffens am 7. Oktober im „Infrastrukturministerium“ rührten Vertreter von Telekom und Vodafone erneut die Werbetrommel für Qualitätsklassen bei Internetdiensten. Egal ob man es jetzt Qualitätsklassen, Spezialdienste, Managed Services oder einfach QoS nennt: Es ist eine Mogelpackung, auf die allerdings die Politk hereinzufallen droht. Jens Koeppen (CDU) sieht die Möglichkeit, Providern QoS zu erlauben, wenn diese im Gegenzug den Breitbandausbau in ländlichen Regionen finanzieren.

Wo ist nun die Mogelpackung?

Werfen wir zuerst einen Blick auf die technische Seite: Solange ein Datennetz ausreichende Kapazitäten bereitstellt, können alle Datenpakete uneingeschränkt transportiert werden, also sind Qualitätsklassen unnötig. Erst wenn ein Datennetz nicht mehr für die zu bewältigende Datenmenge ausreicht, kommen Qualitätsklassen ins Spiel um zu entscheiden, wessen Datenpakete weiterhin normal transportiert werden (wer also für eine höhere Qualitätsklasse bezahlt hat) und wessen Datenpakete verworfen werden sollen (wer sich also nur die Standard-Qualitätsklasse leisten kann). Wenn es also um einen zukunftssicheren Breitbandausbau geht, wozu werden dann überhaupt Qualitätsklassen benötigt?

Betrachten wir nun die wirtschaftliche Seite: Qualitätsklassen sind für einen Provider nur interessant, wenn er damit zusätzliche Umsätze erwirtschaften, sie also an Kunden verkaufen kann. Kunden wiederum werden sie nur kaufen, wenn sie dadurch einen Vorteil haben. Solange ein Datennetz ausreichende Kapazitäten bereitstellt, hat ein Kunde vom Erwerb einer höheren Qualitätsklasse keinerlei Vorteil, weil seine Daten – egal in welcher Qualitätsklasse sie transportiert werden – aufgrund der ausreichenden Kapazität problemlos transportiert werden können.

Unzureichende Kapazitäten oder künstliche Verknappung

Aus beiden Betrachtungen wird klar, dass Qualitätsklassen einem Provider nur dann etwas nutzen, wenn er entweder doch unzureichende Kapazitäten hat oder aber die an sich ausreichenden Kapazitäten künstlich verknappen möchte (z.B. per Drosselung nach einem gewissen Freivolumen), um die Kunden zur Buchung höherer Qualitätsklassen zu drängen. Beide Fälle widersprechen aber der gebetsmühlenartig wiederholten Behauptung der Provider, durch Qualitätsklassen würde das „offene und freie Internet“ nicht beeinträchtigt: Wenn unzureichende Kapazitäten vorhanden sind und somit höhere Qualitätsklassen als „Überholspur“ nötig werden, dann wird zwangsläufig der Rest, also normale Internetdienste, deutlich darunter leiden. Im Falle der künstlichen Verknappung wird sogar noch deutlicher, dass normale Internetdienste die Leidtragenden sein müssen. Würden sie weiterhin wie gewohnt funktionieren, würde niemand die Notwendigkeit sehen, höhere Qualitätsklassen zu kaufen.

Irreführende Wohlfahrtsbeispiele

Mit geschickt ausgewählten Beispielen für Spezialdienste, wie z.B. E-Health-Anwendungen, gelingt es den Providern leider immer wieder, die Politik für Qualitätsklassen zu begeistern. Diese Beispiele sind jedoch irreführend: Qualitätsklassen sind nur für zeitkritische Anwendungen, wie z.B. Tele-Operationen, relevant. Niemand mit genug Fachwissen wird den Datenstrom einer Tele-Operation über das Internet transportieren wollen. Das Risiko durch Unterbrechungen oder Manipulationen wäre viel zu groß. Läuft der Datenstrom hingegen über eine dedizierte Datenleitung, sind wiederum keine Qualitätsklassen notwendig, weil die Datenleitung exklusiv nur für diesen Zweck mit fester Datenrate reserviert ist. Im Zweifelsfall wird ein Provider mit wirtschaftlichen Interessen die hohe Qualitätsklasse eher an einen finanzstarken Videostreaming-Dienst verkaufen als an ein eher finanzschwaches Klinikum – unser Gesundheitssystem ist ja nicht gerade für seine üppige Finanzierung bekannt.

Fazit

Jeder Internetnutzer bezahlt seinen jeweiligen Provider für den Transport von Daten. Dabei kann ein Datenpaket nicht „besonders gut“ transportiert werden. Entweder es wird transportiert oder es wird verworfen. Erlaubt die Politik die Einführung von Qualitätsklassen, dann erlaubt sie den Providern gezielt Datenpakete von Wenigzahlern zu verwerfen, anstatt ihre Kapazitäten dem Bedarf anzupassen.